Lieber Stadtrat, lieber Taubenhasser,
Du entscheidest über mein Leben. Du bestrafst die Menschen, die mich füttern und verurteilst mich damit zu einem qualvollen Tod.
Ich weiß, dass Du das nicht sonderlich bedauerlich findest aber würde man in deiner Stadt Hunde oder Katzen so behandeln, wie mit uns Stadttauben verfahren wird, gäbe es empörte Proteste unter den Tierfreunden.
Seltsamerweise registriert kaum jemand, dass wir jeden Tag ums Überleben kämpfen. Deshalb stört sich niemand daran, dass wir auf deine behördliche Anordnung elend verhungern, dass wir wie Ungeziefer von jedem verscheucht und gejagt werden dürfen. Die meisten meiner Freunde sind wie ich geschwächt und abgemagert. Viele von uns leiden still, mit grauenhaften Verletzungen und verkrüppelten Beinen. Wir alle sind jeden Tag verzweifelt auf der Suche nach etwas Futter.
Wie Hunde und Katzen sind wir Haustiere oder deren Nachkommen. Das haben wir uns nicht ausgesucht sondern die Menschen, die uns erst gezüchtet und dann ausgesetzt haben sind dafür verantwortlich! Verirrte Brieftauben sind ohne die Hilfe der Menschen nicht überlebensfähig.
Du bezeichnest uns als „Ungeziefer“ oder „Plage“. Ich bin kein Ungeziefer! Ich bin das bedauernswerte Opfer menschlicher Gleichgültigkeit, das sich deinetwegen durch ein viel zu kurzes Leben, das einzig von Angst, Hunger und Schmerzen geprägt ist, kämpfen muss, um irgendwann dann doch qualvoll zu verenden. In den meisten Städten herrscht striktes Fütterungsverbot. Du hast darüber entschieden! Das ist nicht nur äußerst grausam sondern macht auch keinen Sinn!
Ich bin jeden Tag viele Stunden zu Fuß unterwegs um etwas Essbares zu finden. Eigentlich würde ich etwa 40 g Futter am Tag benötigen um zu überleben. Vielleicht weißt du, dass artgerechte Nahrung für mich nicht aus Essensresten besteht. Ich bin ein Körnerfresser. In deiner Stadt finde ich nicht einmal einen Bruchteil der benötigten Menge, also fresse ich hungrig alles, was als Abfall auf den Strassen landet und setze dann den „Hungerkot“ ab, die großen, flüssigen Kleckse von denen du glaubst, sie würden die Gebäude deiner Stadt beschädigen. Dass dies nicht der Fall ist, kannst du nachlesen. Es gibt sogar Studien die belegen, deine Gebäude leiden mehr unter den Schäden, die durch die Maßnahmen zur Taubenabwehr entstehen, als durch meine Kleckse.
Auf der verzweifelten Suche, zwischen Zigarettenkippen, Hundekot, Essensresten und Plastikmüll etwas Nahrung zu finden, verfangen sich viele meiner Freunde in den am Boden liegenden Schnüren, Fäden oder Plastikteilen und verschnüren sich dort, bis die Zehen abgestorben sind. Es ist ein langer und sehr schmerzhafter Leidensweg. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schmerzhaft!
Aber es sind leider nicht nur die Verstümmelungen und der Hunger, der uns das Leben in deiner Stadt zur Hölle macht. Auf deine Anordnung werden wir vergiftet, abgeschossen, ausgehungert oder zur “fachgerechten” Tötung (Spritze, Kopfabriss oder Genickbruch) eingefangen. Falls du es nicht weißt, das passiert mit Netzen oder Käfigen. Wir werden mit Futter angelockt und wenn dein Auftrag erfolgreich ausgeführt wurde, dann bleiben nach unserem Tod verwaiste, hilflose Jungtiere zurück, die allein verhungern oder erfrieren. Selbst wenn nur ein Elternteil stirbt, haben unsere Jungtiere keine Chance zu überleben, da beide Vogeleltern für die Aufzucht unentbehrlich sind.
Wenn du glaubst, dass diese feigen Morde etwas bewirken dann muss ich dich enttäuschen! Nachweislich verringern die Tötungsaktionen unsere Populationen stets nur für kurze Zeit. Die verwaisten Brut- und Schlafplätze werden von “frischen”, neu zugeflogenen Artgenossen schnell wieder besetzt. Meine natürliche Lebenserwartung wäre ungefähr 15 Jahre. Dank deines Fütterungsverbotes werde ich höchstens zwei Jahre überleben, bis der ewige Hunger meine Reserven erschöpft hat. Bei jedem anderen Tier würde man dich der Tierquälerei bezichtigen. Warum interessiert es in meinem Fall kaum jemanden? Dabei gilt das Tierschutzgesetz auch für mich. Auch wenn Du und viele andere mich nicht mögen: Ich habe Rechte, wie jedes andere Tier auch!
So sehr ich mich auch anstrenge, ich habe keine Chance in deiner Stadt das richtige Futter für mich zu finden, schon gar nicht im Winter. Womit Du dann immer argumentierst, wenn Du die Menschen bestrafst, die mich trotz deines Verbotes füttert, über den angeblichen Zusammenhang von hohem Nahrungsangebot und erhöhter Vermehrung, das gilt nur für Wildtiere. Ich bin kein Wildtier! Ich bin eine Stadttaube und wir brüten unabhängig von Jahreszeit und Nahrungsangebot. Ein Basler Tierversuch ergab sogar, dass hungernde Stadttauben mehr brüten als ausreichend ernährte.
Warum verbreitest du überall das Gerücht, ich wäre ein gefährlicher Krankheitsüberträger? Fakt ist, dass grundsätzlich alle Lebewesen Krankheiten übertragen können. Das Risiko einer Ansteckung für euch Menschen ist jedoch viel geringer als es überall fälschlicherweise von Deinesgleichen behauptet wird. Die Salmonellen in meinem Kot sind rein tierartspezifisch und auf euch Menschen so gut wie nicht übertragbar. Meine Einstufung als “Schädling” (Bundesseuchengesetz 1966) wurde bereits 1989 aufgrund neuer Forschungsergebnisse zurückgenommen. Dir ist das egal! Du hast zwar den neuesten Stand der Forschung verschlafen aber dafür bist du Meister in den grausamen Methoden zu meiner Abwehr und Tötung
Auf deine Anweisung werde ich mit Spikes, Dornen, Klebepasten, Glasscherben, Stromdrähten, Netzen und Spanndrähten am Ruhen oder Nisten gehindert. Da es in den Innenstädten aber kaum noch geeignete Nist- und Ruheplätze für mich gibt, bleibt mir einfach keine andere Wahl als trotzdem zu brüten und zu ruhen, wo diese Vorrichtungen angebracht wurden. Besonders junge und unerfahrene Tauben ziehen sich an den messerscharfen Abwehrvorrichtungen schwerste Verletzungen und Verstümmelungen zu. Ich kenne viele von ihnen. Mit klaffenden Wunden, auf dem Bauch kriechend oder hinkend, oft nur noch mit einem Beinstumpf, quälen sie sich dann durch den täglichen Kampf um Überleben und Futter. Zusätzlich verätzt uns im Winter das überall ausgebrachte Streusalz schon bei kleinsten Entzündungen die empfindlichen Füsse wie Salzsäure. Es ist die Hölle!
Dabei ginge es auch anders, du musst uns nicht quälen, verhungern lassen oder töten!
In eigens eingerichteten und von ehrenamtlichen Helfern betreuten Taubenschlägen können wir gezielt angesiedelt und unsere Vermehrung kontrolliert werden. Wenn uns Taubenschläge zur Verfügung stehen, ziehen wir dorthin um. Wenn ihr Menschen uns dann regelmäßig füttert, gewöhnen wir uns an die neuen Standorte und bleiben dort. Wir müssen nicht mehr in der Innenstadt nach Futter suchen und betteln. Damit wir uns nicht immer weiter vermehren, tauschen die Betreuer unsere Eier gegen Attrappen aus. Bitte informiere dich!
Ich bin eine Stadttaube. Ich bin friedlich, hochintelligent, sozial und liebenswert. Ich habe mir dieses Leben nicht ausgesucht. Niemand verdient es, so leben zu müssen!
WARUM BESTRAFST DU DIE MENSCHEN, DIE MICH FÜTTERN? BITTE LASS MICH NICHT VERHUNGERN!